Kulturservice Kürtz

Jutta Kürtz

Regelmäßige Kolumnen und Artikel von Jutta Kürtz

Jutta Kürtz schreibt regelmäßig Kolumnen und Artikel für verschiedene Zeitschriften, in denen sie sich mit Themen rund um Kultur, Geschichte und Alltagsleben beschäftigt. Ihre Texte zeichnen sich durch fundierte Recherchen und lebendige Darstellungen aus, die sowohl historische als auch gegenwärtige Aspekte beleuchten.

Eine kleine Auswahl ihrer Arbeiten finden Sie hier.

MOHLTIED 2013 Bier

4.000 Sorten Bier gibt es in Deutschland, es ist das beliebteste Getränk der Deutschen. Auch im Norden. Hier heißt es Bölkstoff, Rommeldeus und Achtern Diek, das Göttliche, das Liebliche und der Sommertraum – und einige haben nicht nur eine „Blume“, sondern auch eine blumige Geschichte, eine lange Tradition. Biersorten in Schleswig-Holstein und ihre Namen können viel erzählen. Als Pilsener und Schwarzbier kommen sie daher, als Rotbier und Rauchbier, als Zwickel und Weizen und zu allen Jahreszeiten als Bock. Winter- und Weihnachtsbock, März- und Mai- und Urbock. Einige in der Flasche mit dem „Plop“, wie das „Flens“ seit 125 Jahren.

Bier ist das Getränk des Nordens. Jüngst haben sich pfiffige Land- und Privatbrauer in Rickling und Grönwohld, Neustadt und Taarstedt und anderswo im Lande aufgemacht, mit ihren Brauerkünsten neue regionale Spezialitäten zu produzieren. Viel Süffiges und Naturtrübes bis hin zum edel verkorkten „Sylter Hopfen“ schäumt da nun im Glas. Aber die letzten traditionellen Brauhäuser – die Dithmarscher Brauerei Karl Hintz, 1884 in Marne gegründet, und die Flensburger Brauerei aus dem Jahr 1888 – sie weisen auch mit Stolz auf die älteren, die generationenlangen Erfahrungen und edelste Produkte hin. Immer mit der Zeit gehend, brauen sie vom Dithmarscher Urtyp bis zum Dithmarscher Lemon, vom Flensburger Pilsener bis zum Flensburger Weizen und Kellerbier seit dem 19. Jahrhundert stets für jeden Geschmack das passende Bier.             

Aber auch das war ja nicht der Anfang. Schließlich lesen wir schon beim vielzitierten Alt-Historiker Tacitus von einem „Saft, der unter Verwendung von Gerste oder Weizen bereitet und ähnlich wie Wein vergoren ist.“ Im hohen Norden nach Art der Sumerer, der Römer und der Griechen. Dort, wo sich die Germanen das „Froschgesöff“, also Regenwasser, durch die Kehlen kippten, wo Milch und Molke und Met den Durst löschten, begann man also früh mit dem Mälzen und Maischen. So schützte man sich vor krankmachenden Gewässern. Seit Wikingerzeiten, das ganze Mittelalter hindurch und in der frühen Neuzeit war Bier für alle das wichtigste Getränk und durch den hohen Kaloriengehalt ein unverzichtbarer Bestandteil der täglichen Nahrung. Das obergärige, alkoholarme Dünnbier taugte zum Trinken und zum Kochen und zuweilen, mit Kräutern versetzt, auch als Medizin. Unmengen wurden pro Kopf verbraucht. Hausgebraut, aber auch in zahlreichen Brauereien in allen Städten. Ein großes Brauereigewerbe florierte landesweit, bis um 1800 die Exoten Kaffee und Tee und Schokolade die täglichen Trinkgewohnheiten veränderten. Die Hausfrau, die auf sich hielt, stand aber weiterhin nicht nur am Herd, sondern auch am Braukessel. „Trink keine Brauerjauche“, rieten noch die „Man-nehme-Kochbücher“ des 19. Jahrhunderts der jungen Braut und lehrten sie, das „flüssige Brot“ für den geliebten Ehegemahl selbst herzustellen.

Die Geschichte der Städte berichtet seit dem Mittelalter von Mengen von See- und Stadtbieren, die über See und Land verrollt und verschifft wurden. Klosterbrauereien lieferten ganz speziellen süffigen Gerstensaft. Im Land gedieh der Gerstenanbau, Hopfengärten wurden angelegt, in den Handelszentren wurde Getreide umgeschlagen. Bierspezialitäten wurden zu einem weltweiten Exportartikel. Einzigartig waren wohl das starke Einbecksche Bier und die klaren Hamburger Weiß-Biere. Aber schon im 13. Jahrhundert exportierte auch Lübeck sein Traveoel bis in die nordischen Königsreiche und nach Ostindien. Die Ratzeburger brauten Rommeldeus, die Möllner ihr Laukenbier, die Eckernförder Kakabellenbier. Das Gold in Krug und Glas war ein goldenes Gewerbe. Ein jahrhundertelanges Auf und Ab folgte. 

Dann kam die neue Technik. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in allen Städten die Dampfbrauereien, gewaltige Maschinenhäuser und riesige Braukessel waren Zeugen der Industrialisierung. Bierwagen, Brauereizüge mit prächtig geschmückten Pferden transportieren die „neuen“, die obergärigen, auf bayerische Art gebrauten Biere durchs Land. 1865 wurde in Lübeck die Lück-Brauerei gegründet, in Kiel die Actien- die Eiche-, die Schloßbrauerei. Im Norden die Flensburger Brauerei, im Westen die Dithmarscher und die Husumer. Die Kieler Schifferer-Brauerei wurde zur größten Privatbrauerei Schleswig-Holsteins. Als Kiel Marinehauptstadt wurde, wuchsen nicht nur die Werften, sondern auch die Bierbrauereien. Gaststätten und Biergärten wurden an der Förde – wie in allen Städten – zu Zentren gemeinschaftlicher Fröhlichkeit.

Nun hat es in den letzten Jahrzehnten wieder neue Kreative gegeben, einen neuen Aufbruch der Bierbrauer. Mit Pep und Plopp. Brauhäuser mit uriger Atmosphäre und wunderbaren Bieren starteten in Eutin, Lübeck, Kiel und Husum, in Neustadt und in Schwarzenbek. Hansens Brauerei in Flensburg mit seinen naturtrüben Bierspezialitäten und Asgaard in Schleswig mit seinen nordischen Götterbieren machen Furore. In Ahrensburg ist Zeugenbräu aktiv, in Schillsdorf braut ein Landgasthof sein Kirschenholzer, aus Mölln kommt ein Eulenspiegel-Bier. Sehr speziell ist man in Rickling – da gibt es sogar auch ein hauseigenes Stout und ein Porter. 

Bierbrauer sind eben immer für Überraschungen gut und sorgen mit so manchem köstlichen Gebräu für große Trinkfreude und für viel Genuss. Gut 60 Biersorten gären alleine im Norden in Flasche und Faß.

MOHLTIED 2014 Die Geschichte vom Salz

Brot und Salz reicht man dem jungen Paar bei der Hochzeit, auch neuen Hausbesitzern und manchenorts dem Gast, der „einfach so“ vorbei und ins Haus kommt. Brot und Salz steht für Wohlergehen und Kraft und für ein gelingendes Leben, es vertreibt vermeintlich auch allerlei böse Geister. Das ist alter Volksbrauch. Auch christliche Gedanken gehen damit einher, denn in der Bibel wird ja vom Brot des Lebens gesprochen und vom Salz der Erde. Ein schöner polnischer  Spruch lautet vielsagend: Gast im Haus ist Gott im Haus.

In unserem Alltag ist Salz ein Pfennigartikel, allerdings ein unentbehrlicher, denn unsere Körper brauchen Salz zum Leben. Tag für Tag haben wir einen Salzbedarf von etwa 5 Gramm. Schon im Altertum hat man Salz zur Konservierung von Lebensmitteln genutzt – man kam früh auf die Idee, Meerwasser in Salzgärten zu leiten und unter starker Sonneneinstrahlung Salz auskristallisieren zu lassen. Man fand auch weltweit Salzlagerstätten unter Tage und baute in Salinen das kostbare Gut ab oder schwemmte es aus. Nach spezieller Bearbeitung war es als Steinsalz oder Siedesalz gebrauchsfertig. Auch Pflanzenasche in Südamerika und in Afrika, salzhaltige Erde am Tschadsee, in Thailand und in Neuguinea, Brunnenwasser der Sahara und meerwasserhaltiger Torf an den Küsten der Nordsee waren Quellen der Salzgewinnung.

Salz galt weltweit als kostbares Gut – viele Städte wurden reich durch das „weiße Gold“. Denken wir an die alte Hansestadt Halle an der Saale, wo Salzquellen auf dem heutigen Stadtgebiet schon in der Vorzeit genutzt wurden. Salzwerke und Solbrunnen gab es dort seit dem 8. Jahrhundert, bis weit über die Hansezeit hinaus hatte die Salzgewinnung eine hohe wirtschaftliche Bedeutung für die Stadt Halle. Das Wort „Hall“ soll, so die Forschung, keltischen Ursprungs sein und in der Namensgebung auf Salzgewinnung oder auf eine Lage in einer Salzniederung hinweisen. Auch die Halligen haben so möglicherweise ihren Namen erhalten. Bei Städten wie Salzgitter und Salzburg sind die „salzigen“ Ursprünge noch deutlicher.

Im Norden war es vor allem die Stadt Lüneburg, deren Altstadt auf einem Salzstock lagert, die der Hanse das kostbare Handelsgut Salz lieferte und dadurch Ruhm und Reichtum gewann. Mehr als 1000 Jahre lang war die Lüneburger Saline in Betrieb. Erst 1980 wurde das Salzwerk, eines der ältesten und größten Industriebetriebe Europas, geschlossen. Die hochprozentige Sole, die im Untergrund der Stadt durch das Ablaugen des Grundwassers entsteht, wurde schon zu Zeiten der Hanse in Siedepfannen verkocht. Ein extrem reines Salz konnte in Lüneburg gewonnen werden, das eine besonders hohe konservatorische Wirkung hatte und zur Haltbarmachung von Fisch und Fleisch in unvorstellbar großen Mengen von Lübeck und von Hamburg aus verschifft wurde. Eben das „Gold der Hanse“. 

Schließlich gab es im Mittelalter ja noch keine Möglichkeit, Nahrungsmittel nachhaltig zu kühlen. So wurden Vorräte auf vierfache Weise konserviert – sie wurden getrocknet, gesalzen, geräuchert und eingekocht. Bis ins letzte Jahrhundert hinein. Viel Fleisch wurde zur Haltbarmachung und Bevorratung gepökelt und geräuchert. Im 13. Jahrhundert entwickelte sich die dänische Viehzucht, auch der Viehhandel über die Ochsenwege und der Handel mit Fleisch. Es wurde in Tonnenfracht eingepökelt und so zur Handelsware. Man brauchte Salz auch zur Herstellung von lagerfähiger Butter, von Käse und Brot. Vor allem aber war es frühzeitig  notwendig, Fisch mit Salz haltbar und transportabel zu machen. Denn der Ostseeraum war mit seinem Fischreichtum ein Paradies und jahrhundertelang ein unentbehrlicher Lieferant von Fastenspeisen. Im hansischen Handel rollten alljährlich Hunderttausende von Tonnen mit eingesalzenen Heringen durch die Welt. Schon im frühen 12. Jahrhundert  sollen die silbrigen Fische in so großen Schwärmen durch die Ostsee gezogen sein, dass man sie mit der Hand und mit Eimern greifen und schaufeln konnte. Ein ganzes Fass Lüneburger (Trave-)Salz war dann beispielsweise nötig, um fünf Fass Heringe einzulagern. Auch Unmengen von Trocken- und Stockfisch, der an Latten und Stöcken aufgehängte eingesalzene Dorsch und Kabeljau aus den skandinavischen Ländern, gelangten über Lübeck und andere Ostseehäfen in katholische Länder und Regionen, in denen an kirchlichen Fasten- und Feiertagen Fleischgenuss verboten war. Der Salzbedarf war also immens.

Bei uns im Norden gab es vor und neben Lüneburg noch das Oldesloer Salz, schon weit vor der Hansezeit wurde es aus einer Saline gewonnen. Im 12. Jahrhundert zerstörte Heinrich der Löwe diese aus Konkurrenzgründen zugunsten von Lüneburg. Aber die Oldesloer setzten ihr Salzwerk jahrhundertelang immer wieder in Betrieb und schufen so für die Stadt einen wichtigen Wirtschaftsfaktor. Der große Handels-Erfolg im Hanseraum blieb dennoch aus. Die Lüneburger Saline war produktiver, das Salz besser. Erst später wurden das billigere Steinsalz aus England und das französische Baiensalz, ein preiswertes, grobkörniges Meersalz, zu den entscheidenden Konkurrenten, auch für das Travesalz – wie man das aus Lüneburg kommende, lübsche Salz der Hanse auch nannte.

Der Norden liefert noch eine beeindruckende Geschichte aus der Geschichte: die vom „friesischen Salz“. Für die Bewohner im Wattenmeer hatte die Salzgewinnung lange Zeit große Bedeutung. Man hatte eine Technik entwickelt, den vom Meersalz getränkten Torf auszugraben, ihn zu trocknen, dann zu verbrennen und aus der Asche wiederum Salz zu gewinnen. Vom 12. bis zum 18. Jahrhundert bauten die Friesen zunächst in der Marsch, später im Watt ihren Torf ab und gewannen daraus das Friesensalz als ein wichtiges Handelsgut.  Schon in Haithabu gebrauchte und verhandelte man Friesensalz, Rungholt und später Ribe waren die Handelszentren dafür. Die Salzgewinnung war lange der Hauptwirtschaftszweig der Hallig- und Inselfriesen. Die großen Fluten, die Manndränken, zerstörten dann viel Land und auch weite Abbauflächen. Außerdem hatte längst das Lüneburger Salz den Markt erobert. Das Friesensalz hörte 1782 auf zu existieren.

Die alten Zeiten der Salzgewinnung im Norden sind vorbei. Aber die „Alte Salzstraße“, der Land und der Wasserweg zwischen Lüneburg und Lübeck, über den einst die Salztonnen transportiert wurden, erinnert noch daran. Außerdem hat die Stadt Lüneburg in ihrer stillgelegten Saline das großartige „Deutsche Salzmuseum“ eingerichtet (www.salzmuseum.de), und auch in den nordfriesischen Museen gibt es Salzausstellungen und sehr gute Darstellungen der speziellen friesischen Salzgewinnung. Da Salz ja von Lübeck bis Venedig gehandelt wurde, da Salz außerdem auch heute noch weltweit gewonnen wird, gibt es für den Interessierten weltweit viel Information.

Auf den Spuren der Geschichte und zur Freude der Gourmets hat sich jüngst ein großer Küchenkünstler auf der Nordseeinsel Sylt daran gemacht, aus reinem Nordseewasser das „Sylter Meersalz“ zu gewinnen. Ein feines und ein grobes „Fleur de Sylt“ hat Alexandro Pape in der Sylter Meersalzmanufaktur in List entwickelt – eine raffinierte, kostbare Köstlichkeit. 

Sparsam sollte man damit umgehen, ohnehin verrät ja das versalzene Essen den verliebten Koch und den sprichwörtlichen Glauben an die lustmachende Wirkung der „Würze des Lebens“… 

Essay/Editorial Fischbrötchen

Mein erstes Fischbrötchen war ein Krabbenbrötchen.  An einem heißen Sommerwochenende am Husumer Hafen. Den Geschmack erinnere ich noch heute. Denn diese ganz besondere Delikatesse gab es bei uns zuhause in der kleinen Stadt nördlich von Hamburg nicht. Die rosa Panzertierchen hatte ich nur in Kinderheimzeiten auf Sylt zu sehen, zu puhlen und zu essen bekommen. Kann „man“ sich das heute, sechs Jahrzehnte später, vorstellen – wo es doch alles immer und überall gibt?

Das Aufregendste an meinem Krabbenbrötchen war aber etwas ganz anderes: wir aßen es „von der Hand in den Mund“, dieses Krabbenbrötchen wurde auf der Straße gegessen! Nicht am Tisch, nicht im geschlossenen Raum, nicht mit Messer und Gabel! Unvorstellbar!  Noch nie zuvor hatte ich das bei meinen auf Etikette und Hygiene bedachten Eltern erlebt. Ich weiß noch: ich war ganz sprachlos.  Es waren die 1950er Jahre, die Nachkriegs- und Notzeiten schwanden im Fleiß des Wiederaufbaus dahin, das Wirtschaftswunder erreichte Jedermann. Da kehrte man auch zurück zu einer Gesellschaft, die wieder Manieren und Normen setzte. „Gegessen wird am Tisch“, gehörte dazu. „Gegessen wird mit weißer Decke, Silberbesteck und gestärkter Serviette. Finger weg vom Essen!“ Das war tägliche Praxis. 

Und nun Fingerfood! Krabbenbrötchen auf der Straße und aus der Hand! Und stinkende, klebrige Hände hinterher!

Nein, es gab zu der Zeit in meinem Umfeld noch keine Mcs und Burger, keine Pommes aus der Tüte, kein gegrilltes halbes Hähnchen, keine Würstchen- und Pizzabuden und Schnellimbisse  – oder gar Fischbrötchen! Es gab überhaupt nichts aus der Hand und in den Mund Gestopftes – schon gar nicht auf der Straße!

Ich gebe zu, dass es lange gedauert hat, bis ich mich von meiner Kinderschar in Fastfood-Freßtempel schleppen und als Burger-Testerin verführen ließ – meine Erstversuche hatten wohl Loriot-Qualität und grenzten an Peinlichkeit…

Aber nun liebe auch ich den schnellen Happen zwischendurch – wie alle Welt – und vor allem Fischbrötchen. Das Zusammenspiel von Bäcker und Fischmann ist großartig, der Kreativität und Qualität, erlebe ich, sind keine Grenzen gesetzt. Der Norden ist gar nicht mehr denkbar ohne Fischbrötchen! Bis hin zum alljährlichen „Welt-Fischbrötchen-Tag“!

Wie es überhaupt dazu kam? Eine ganze Handvoll „Erfinder“ sollen’s und wollen’s gewesen sein – und so kann man sich mit Schmunzeln allerlei berichten lassen, während man als Schnell-Esser den knurrenden Magen mit dem deftigen Genuß füllt.

Seien wir ehrlich: die gefüllte Semmel begann ihre bemerkenswerte Karriere als Reste-Stulle. Als Brot mit Übriggebliebenem vom Vortag oder vom sonntäglichen Braten. Wer in kulinarischer Geschichte stöbern mag, der gerät in alten Küchenkladden und Man-nehme-Büchern auf ausgiebige Kapitel der Resteküche. Sie wurde den jungen Damen im Ehestande zur sparsamen Haushaltung empfohlen, wie nachzulesen ist in einem meiner Haus- und Hof-Ratgeber: „Auf der genauen, peinlichen Resteverwendung beruht ein großer Teil der Kunst des Sparens und Haushaltens, der Kunst, mit möglichst geringen Mitteln möglichst viel zu leisten…“.  Als man noch alles aß, was ein geschlachtetes Tier lieferte – von Kopf bis Fuß, von Hirn bis Hoden,  von Bein bis Bauch samt allen Innereien -, da gehörte die abendliche Pfanne mit dem Aufgebratenen und das wochenendliche „Kehr-wieder“-Gericht zum Speiseplan. Da kam die sorgsame Kostgeberin auch auf die Idee, Brot auf- oder Semmel durch- zu schneiden, mit Bratenresten zu füllen und mit heißer Soße zu übergießen. Sauer Eingelegtes gab es dazu – Gurken, Pflaumen, Kürbisse, Rote Bete – fertig war das schnelle, sättigende Gericht. In einer Handschrift in meiner Sammlung habe ich – in feinstem Sütterlin – die „Anweisung für sparsame Tage“ entdeckt. Da gibt es auch die „Semmeln mit was drauf“. Hamburg wurde dafür berühmt, aus dieser Notlösung eine Tugend gemacht zu haben, man propagierte „Rundstück warm“  als hanseatische Spezialität. Da die Hamburger nachgewiesenermaßen schon im frühen 17. Jahrhundert ihre hochgepriesenen Hamburger Brötchen gebacken haben, sind wohl so die ersten gefüllten Brötchen auf die Teller gekommen. Mit Variationen. Im 20. Jahrhundert wurde ein Kult-Essen daraus – gute Marketing-Leute gab es immer schon!

Man liest auch immer wieder, dass die gefüllten Brötchen mit deutschen Auswanderern nach Amerika gekommen sind, kulinarische Migranten gewissermaßen. Schnelle und billige Nahrung für viele Hungrige, die auf den schrecklichen, langen Transporten im Unterdeck der Dampfer in größter Enge und Anspruchslosigkeit karge Zeiten verbrachten – aber sie hielten hungernd durch, denn sie fuhren der Neuen Welt und ihren Träumen vom neuen Leben entgegen. 

Es wird auch da wieder viel erzählt über die ersten „Hamburger“, die dann aus dieser eingewanderten Idee entstanden. Eine ganze Reihe von US-Städten will’s gewesen sein. Das „Steak Hamburger Art“ tauchte schon Mitte des 19. Jahrhunderts in einem US-Kochbuch auf. Auch das „Hamburger Sandwich“. Nachweislich wurden auf der Weltausstellung 1904 in St. Louis Hackfleischbrötchen als „Hamburg“ verkauft.  Seither wurden sogar Juristen bemüht, die Ursprünge zu klären und die Zubereitung festzulegen. Auch in Hamburg und auf St. Pauli weiß man dazu „wahre“ Geschichten.

Genau weiß man aber, dass sich 1896 in Bremen die „Nordsee“ gründete – als Initiative Bremer Reeder und Kaufleute mit eigener Fangflotte. Das Ziel: der Verkauf von Frischfisch im küstenfernen Landesinnern. Nach bescheidenen Anfängen und einem zerstörerischen Krieg boomte es nach dem Neustart in den 1950ern. Von Bremen aus hatte man schnell Hunderte von Filialen in ganz Deutschland aufgebaut. Mit frischem Fisch und mit Fischbrötchen als Fingerfood. Das erinnere sogar ich. Die Hannover Messe, die 1947 noch mit einem einfachen Konzept begann, hatte wohl die zündende Idee. Volks- und vollmundig wurde sie „Fischbrötchen-Messe“ genannt, weil man Unmengen von Semmeln mit Fisch belegte und so den schnellen Messe-Imbiß kreierte.

Derweil begann in den USA die märchenhafte Geschichte der McDonald-Brüder, die 1940 ihren Imbiss starteten und nach einigen Jahren mit ihren Bulettenbrötchen die amerikanische Jugend und schließlich ab 1971 Deutschland und Europa eroberten. Eine spannende Firmengeschichte! 1963 dachte sich da einer: was mit Fleisch geht, geht auch mit Fisch. Also gab es den ersten FischMac! Das Frischbrötchen der ersten Stunde! 

Das schmeckt nun wirklich nur aus der hohlen Hand! 

Weltweit ist es eine alte Kulturtechnik, mit den Fingern zu essen. Mit allen Sinnen zu genießen, wie die Kenner sagen. Der Äthiopier Asfa-Wossen Asserate singt in seinem spannenden Buch „Manieren“ geradezu ein „Loblied auf die klassische Weise des Essens – das Essen mit den Händen“. Bis heute wird es in vielen Ländern und Erdteilen gehandhabt. „Es verlangt mehr Geschicklichkeit und Geschmack, appetitlich und elegant mit den Händen zu essen; es ist schwieriger, als man sich vorstellt. Natürlich gehört die Handwaschung zum Essen, vorher und nachher… So aß man in der Antike, und so aßen auch die Deutschen bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein, als das Tafelbesteck aufkam.“ Man langte kräftig zu, wischte die Bratenfinger am Brot ab, das man am Ende auch noch  aß –„was gereicht wird, hat man mit drei Fingern oder mit Brotstücken zu nehmen“, so heißt es in den Benimm-Schriften – und bei großem Zeremoniell wurden Fingerschalen samt Zitrusfrüchten und Handtüchern  gereicht… 1601 gab es in Italien sogar eine Vereinigung, die die Mitglieder verpflichtete, allzeit mit den Fingern zu essen.

Ohnehin teilt sich die essende Welt ja in drei Gruppen. Die einen essen traditionell und auch heute noch mit der Hand. Fastfood und Junkfood sorgen auch dafür, dass immer mehr Menschen wieder händisch essen. Andere aber –  1,2 Milliarden Menschen weltweit – greifen seit immerhin drei- bis viertausend Jahren zu Stäbchen. Faszinierend gekonnt. Nur im euro-amerikanischen Kulturraum ist man seit ältesten Zeiten an Esswerkzeuge gewöhnt. Mit dem Löffel fing alles an, aus allerlei natürlichen Materialien der schöpfenden Hand nachgebildet und vor allem als Trink- und Essgefäß für Flüssiges und Heißes notwendig gebraucht. Auch Messer, scharf schneidendes Handwerkszeug, musste früh sein. So kam man gut durch die Jahrhunderte. Bis vor 300 bis 400 Jahren die Gabel-Kunst entstand und ein neues Kapitel der Esskultur schrieb und aufspießte. Denn nun saß man bei Tische und genoss die Speisen, pflegte aber auch die Tischzuchten und zivilisierte Tischmanieren. Da glänzte nicht nur Glas und Porzellan auf weißem Leinen, da schmückte man sich auch mit sichtbarem Wohlstand, mit reichlich Tafelsilber und deckte den Tisch mit den kostbarsten und auch originellsten Besteckteilen. Und man wusste sich höfisch zu benehmen.

Das Fischbrötchen stellt nun alles auf den Kopf. Fisch- und Tischkultur.  Da braucht es keinen elegant gedeckten Tisch, keine speziellen Fischplatten und –Teller samt Grätenschalen, nicht die breiten Gabelzinken und die stumpfen Messerklingen vom Fischbesteck und die glänzenden Vorlegeteile. Saubere Hände braucht’s vielmehr und Lust am Genuss. Die Leidenschaft des Essens ist schließlich Lust am Leben. Mit vollen Händen! Griff doch schon Louis XIV, der Sonnenkönig, „mit den Pfoten ins Ragout“. Und ich greife mit Wonne zum Fischbrötchen. Auch im Stehen und auch auf der Straße…

Juttas Entdeckungen- Bischofsbowle

In Schleswig-Holsteins Museen und Sammlungen warten viele Kleinode aus der Kulturgeschichte des Kochens, Tafelns und Trinkens darauf, entdeckt zu werden und ihre spannende Geschichte preiszugeben. Jutta Kürtz, Journalistin, Sachbuchautorin und profunde Kennerin der schleswig-holsteinischen Landes- und Genuss-Geschichte präsentiert zukünftig in jeder [Mohltied!] ein historisches Schmuckstück und seinen spannenden Hintergrund.

Ein seltsames Gefäß steht da in der Vitrine im St. Annen-Museum Lübeck – die zipfelige, weit ausladende Form verwundert, die Bemalung, die Inschrift, auch die Bezeichnung: Bischofsbowle. Der ahnungslose Betrachter mag so bei sich denken, dass die irdischen Vertreter des Himmlischen Vaters ja bekannt waren für ihre Freude an leiblichen Genüssen, speziell an solchen, die den Geist berauschten. Mögen sie sich also ihre Bowle gegönnt haben … Aber es ist ja alles ganz anders. Was für eine schöne, vielschichtige Geschichte berichtet dieses Fayencegefäß! Zunächst einmal: Diese blau auf weiß bemalte Fayence stammt aus Kopenhagen, sie wird „um 1735/1740“ datiert, sie hat die Form einer Bischofsmitra mit dunkelblauen Knöpfen auf beiden Seiten, sie hat keinen Deckel. Seitwärts befinden sich zwei ohrenförmige Henkel. Der Rankenschmuck und die Zierkanten schließen auf Vorder- und Rückseite die Darstellung einer Trinkgesellschaft ein. Die Inschrift ist über beide Bilder verteilt: „VIVAT, ES LEBE DER KÖNIG CHRISTIAN DER SEXTE – UND DAS GANTZE KÖNIGLICHE HAUS.“ Bischofsbowlen wie diese blaue Mitra kommen im Ostseeraum seit dem frühen 18. Jahrhundert häufiger vor. Es gibt auch ganz andere kunstvolle Formen der Bischofsmützen, bauchige, bunte, reich verzierte, mit Deckel und Kreuz – die Kellinghusener Fayencen haben sogar einen sitzenden Bischof modelliert, der unter seinem Gewand das Bowlgefäß verbirgt. Was aber verbirgt dieses historische Gefäß nun wirklich? Ja, es diente als Gefäß für einen heißen oder kalten Rotwein-Punsch, zubereitet mit grünen oder gelben Pomeranzen, im 19. Jahrhundert mit Orangen. Man süßte mit dem ja noch kostbaren Zucker, mit Zimt und Muskat und wählte die französischen „Schatos“. Bereits 1784 ist der „Bischof“ in der großartigen Krünitz-Enzyklopädie erwähnt. Der Homer-Übersetzer Johann Hinrich Voß besingt 1792 den „Bischof“ mit einem wortreichen „Rundgesang“ als „Weihetrank“ und als „Purpurflut“. Thomas Mann berichtet in den Buddenbrooks darüber, Theodor Storm in „Marthe und ihre Uhr“. Da war das Bischoftrinken schon zu einem fröhlichen Punschtrinken geworden. Entstanden aber war es wohl in sogenannten Episkopalgesellschaften als Verspottung katholischer Rituale und Ämter-Hierarchien. Es soll eine „Papstgesellschaft“ in Kopenhagen gewesen sein, die als erster antiklerikaler Trink- und Debattierklub eine besondere Form der Parodie und der antikatholischen Spottrituale zelebrierte. Eine an europäischen Fürstenhöfen durchaus übliche, sehr alte Form der „Saufspiele“. Die Bemalung der in Lübeck präsentierten Mitra zeigt eine solche Papstgesellschaft, die Inschrift ist eine Persiflage auf den frömmelnden, als bigott geltenden und ungeliebten Regenten, König Christian VI., der von seinem Volk strenge Kirchenzucht forderte. Das Volk muckte auf, traf sich beim „Bischof“ und übte sich in Spottgesängen. Die Politik der nicht nur befreundeten, aber vielfach verflochtenen Dynastien im weiten Ostseeraum war wohl auch noch im Spiel. Norddeutsche Herzogtümer als Auftraggeber der mitrenförmigen Bowlgefäße beförderten auf diese Art so manchen Protest. Heute trinken wir in der Winter- und Weihnachtszeit nordischen Glögg und Glühwein, wir lieben Rotweinpunsch und in heißen Sommern die spanische Sangria. Der Bischof ist vergessen, und seine wunderschönen Bowlgefäße stehen nur noch bestaunenswert schön in den Vitrinen der Museen. Als Zeugen einer fernen Zeit.

Jutta Entdeckung- Fensterbierscheibe

Da sitzt er in voller Montur vor dem großen Krug und der Trinkschale und denkt mit aufgestütztem Arm darüber nach, was er nun trinken will.

Trinck ich Wein so werde ich Lustig
Trinck ich Wasser so werde ich durstig
Trinck ich Bier so werde ich Voll
Ich Weis nicht was ich Trincken soll

In seinem zinnernen Krug, so scheint es, könnte jedwedes Getränk sein, in ausgiebiger, durstlöschender Menge. Schauen wir dann in der Bibel nach, was sich unter dem Hinweis „Luc 21 v.=34“ verbirgt – dann erkennen wir die versteckte Botschaft dieses Fensterbildes. Denn dort ist zu lesen: „Hütet euch aber, daß eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung.“ Diese lebendige, farbige Fensterscheibe ist also ein Rat, ein Wunsch an den Hausherren. Zur Hochzeit oder zur Hauseinweihung geschenkt. Im Dithmarscher Landesmuseum in Meldorf entdecken wir dieses bleiverglaste, gut handtellergroße Bild. Wappen und Fensterbierscheiben wurden vom 16. bis zum 19. Jahrhundert in Norddeutschland – aber auch in Sachsen, Westfalen und Niederfranken – von Verwandten, Nachbarn und Freunden mit guten Wünschen ins Haus gebracht, zum Richtfest oder wenn das Verglasen der Fenster dran war. Für die großen Dielen, für die Prachtseiten der Patrizierhäuser, auch für Prunkzimmer von Wohlhabenden. Auch Stifter von Kirchenfenstern haben sich so seit dem Mittelalter verewigt. Hierzulande, besonders in Dithmarschen, gab man dem jungen Paar oder dem neuen Hausbesitzer auf diese Weise gute Wünsche mit auf den Lebensweg. Man lud zum „Fensterbier“ und alle, alle kamen und trugen kostbare handgemalte, gebrannte Glasscheiben ins neue Haus. Die Wappen der Familien – in Dithmarschen die Geschlechterwappen, die Hausmarke des Gebers, die Namen der Schenkenden, biblische Motive und auch Szenen des täglichen Lebens, so manche Sinnsprüche und meist auch die Jahreszahlen – finden sich auf den Scheiben. Farbige Szenen und auch ausdrucksvolle Wappenmotive in Schwarzlotmalerei. Der Dank dafür war das große Fest auf der Diele – Fensterbier oder Fensterköst. Es gab einen guten Schluck – viel hausgebrautes Bier – und gute Kost bei diesen Dorffesten. So war es Brauch in der Dorf- und Lebensgemeinschaft. Man arbeitete miteinander, man feierte auch miteinander. „Saure Wochen – frohe Feste“ heißt es ja schon bei Goethe. Immer feierten Bauern mit Bier und Braten, dann gab es ein „Beer“ oder eine „Köst“: Arnbeer (Erntebeer), Booßelbeer, Arfbeer (Erbbier), Gildebier, Fastnachtsbier, es gab auch das Neebuursbeer (Nachbarschaftsbier), man feierte zur Taufe Kindlbier und am Lebensende ein Leichenbier. So manche Beerköst verfestigte das gemeinschaftliche Leben, die ländliche Gesellschaft. Die rauschenden, feuchtfröhlichen Feste uferten dann allerdings so aus, dass obrigkeitliche Verordnungen und Verbote gegen den Missbrauch folgten. In Dithmarschen sind besonders viele dieser Fensterscheiben entstanden. Glasermeister und Glasmaler, auch Gläser genannt, hatten über Generationen gutes Zeichentalent und Öfen zum Brennen des bemalten Glases. Unsere schöne Trinker-Szene verrät den Glasmaler, er hat sich mit einem Monogramm auf der Tischdecke verewigt. Die schön geschwungenen Buchstaben H und W stehen ganz sicher für Hinrich Warner. Musterbücher von ihm mit Vorlagen für viele Glasarbeiten, mit herrlichen Allegorien, liegen vor, die Familiendaten der Warners sind über Generationen erforscht. So wird es wohl Hinrich Warner gewesen sein, der von 1704 bis 1777 in Meldorf lebte und in dritter Generation ein Gläser war, der diesen schmucken Trinker samt Botschaft geschaffen hat.

Juttas Entdeckungen- Kunckel-Glas

Purpurrot! Was für eine Farbe! Ein Sonnenstrahl trifft auf die kleine Tasse und durchscheint ihr glutrotes Glas! Es ist ein Koppchen samt Untertasse aus Goldrubinglas, das im Plöner Kreismuseum im Rahmen der großen norddeutschen Glassammlung für eine ganz besondere Geschichte steht. Dieses kostbare Original stammt aus der Glashütte des berühmten Johann Kunckel, die kleine Tasse ist wohl um 1690 in Potsdam entstanden. Möglicherweise auf der Pfaueninsel, die der Glasmacher und Alchemist vom Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm von Brandenburg, geschenkt bekommen hatte. Seit 1678 war er zum Geheimen Kammerdiener an den Hof bestellt worden mit dem Auftrag, hochwertige Glasprodukte herzustellen. Sein „Ars vitraria“ war das seinerzeit bedeutendste Standardwerk zur Glasmacherei. Vor allem sollte Kunckel das bei allen Fürsten dringend benötigte Gold herstellen. Von Alchemisten erhoffte man europaweit die Fähigkeit, Lösungen und Lösungsmittel für die Umwandlung von unedlen Metallen in Gold und Silber und damit den „Stein der Weisen“ erforschen und entdecken zu können. Etwa 1635 wurde Johann Kunckel im Raum Plön geboren – vermutlich auf der Glashütte Ascheberg, die sein Vater betrieb. Genauer weiß man es nicht. Sicher ist aber, dass schon Herzog Adolf I. von Gottorf Glasmeister nach Schleswig-Holstein berief, um 1575 die erste Glashütte im Land zu gründen. Die Glasmacherei wurde zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig in allen Fürstenhäusern jener Zeit für Alltags-, Pracht- und Laborgefäße und als geldbringendes Handelsgut. Außerdem ließen die Gutsherren landesweit von den Waldglashüttnern die dicht gewachsenen Wälder roden und gewannen so Siedlungsräume für produzierende Ackerbauern und Viehzüchter. Die Brennöfen der Glasbläser brauchten viel Holz für die Herstellung von Pottasche und zum Heizen der Glasöfen. Man rechnete mit 20 bis 30 Hektar Wald jährlich für eine Glashütte. Im 17. Jahrhundert erlebten die Fürstenhöfe eine Blütezeit, zunehmend brauchten sie gläserne Produkte für den gehobenen Bedarf, auch Fenster und Spiegel. Eine Produktion im eigenen Land schien geboten. Johann Kunckels Vater und Großvater führten mit Erfolg eine ganze Reihe von Glashütten und standen immer im Dienst des Gottorfer Herzogs. So wuchs der kleine Kunckel mit der Glasmacherei auf. Zunächst machte er eine Lehre in einer Apotheke, forschte und experimentierte mit Pharmazie und Chemie und wurde einer der berühmtesten Alchemisten des 17. Jahrhunderts. Als „Chymico“ arbeitete er am Hof in Dresden, lehrte an der Universität Wittenberg und gewann die Gunst des Großen Kurfürsten. Später folgte er dem Ruf des Schwedenkönigs Karl XI., der ihn wegen seiner Mineralien-Kompetenz zum Königlichen Bergrat ernannte und von ihm Erfolg im Abbau von Kupfervorkommen erwartete. Der König erhob Johann Kunckel in den erblichen Adelsstand. 1703 starb Johann Kunckel von Löwenstern. In der Potsdamer Zeit gelang es Johann Kunckel, durch eine besondere Glastechnologie das seit dem Altertum vorkommende Goldrubinglas in großen Mengen und allerbester Qualität zu produzieren. In der Glashütte auf der Pfaueninsel erhielt er dafür das alleinige Privileg und ließ außerdem meisterhafte Glasschneider die neuen Hohlgläser kunstvoll verzieren. Wie die kleine blutrote Tasse im Plöner Museum, deren Untertasse einen fünfackigen Nordstern zeigt als Zeichen von Kunckels Adelswürde. Es ist eine henkellose Tasse, aus der man damals Tee trank. Ein Koppchen (Koppke), wie die Niederländer das aus China mitsamt dem Tee importierte Trinkgefäß nannten. 1657 war der exotische Trank erstmals nach Deutschland gekommen und schnell zu einem Luxusgetränk geworden.

Juttas Entdeckungen- Möschenpott

Der Pelikan auf dem Deckel und das Herz mit dem schnäbelnden Taubenpaar auf der bauchigen Wandung verraten es: Dieser schmucke Keramikpott ist ein Liebesgeschenk. Ein besonders schönes mit einem wichtigen Zweck: Es ist ein Möschenpott. In dem dreibeinigen Steertpott (Stieltopf) wurde der Wöchnerin ein stärkendes Süpplein gebracht und dem Baby später der Brei – wenn es schon Möschen zugelöffelt bekam, also gemuste Löffelspeise. Das niederdeutsche Wort „Möschen“ gebrauchte man für Musiges, für Mehl- oder Milchbrei, auch für in Milch eingeweichten Zwieback, Haferschleim und weiche Klößchen. In einem Gedicht auf ein Brautpaar aus Ostholstein heißt es 1661: „Nun ist es aus mit der Spielerei und Geckerei, bald wird es heißen ‚Mößken nu ock Bryken kak’n un Süpken‘ (Mus und Brei und Süppchen kochen) – für den Nachwuchs …“ 1745 formte und verzierte ein Probsteier Keramiker diesen besonders schönen Möschenpott samt Deckel – an der Bemalung, den satten gelben, braunen und grünen Blumen, den Ranken und Verzierungen können wir das erkennen. In das grüne Herz – Grün gilt seit Alters her als Farbe der Hoffnung – ritzte der Töpfer den Spruch „Hertzen und Lieben ist beser als Betruben“. So war dieses kunstvoll gearbeitete Gefäß also ein Brautgeschenk. Vom liebenden Bräutigam? Hochzeit ließ auf Nachwuchs hoffen. Auf dem Boden lesen wir den Namen „ChristoPh FriDeRich LanGe“ – ist hier der Hochzeiter verewigt oder der Keramiker? Für die Liebenden steht auch das Taubenpaar in der Bekrönung des Herzens. Der wunderschön geformte Pelikan, der sich die Brust aufreißt, um mit seinem Blut seine Jungen zu nähren, ist ein tiefsinniges, in der Volkskunst häufig vorkommendes Symbol für die Mutterliebe.

Mus- oder Möschenpötte gehören in der norddeutschen Keramik zu den Wöchnerinnenschalen oder -pötten, regional auch Warmbeerspott oder Schapenpott genannt. Immer sind es kleine, bauchige Gefäße, die mit ihren drei Beinen ins Feuer gestellt werden können. Sie haben einen Stiel (Steert) zum Anfassen oder zwei Henkel, mit denen sie gut zu greifen sind oder in einen heißen Wassertopf gestellt wurden. Im offenen Feuer brauchte man meist robuste Töpferware, für kleine Mengen kleine Stieltöpfe, für größere die Grapen, auch gusseiserne mit großen Bügeln, die an die höhenverstellbaren Kesselhaken gehängt wurden. Kostbar verzierte Möschenpötte aus den Töpfereien des Nordens – beispielsweise in Tellingstedt und in der Probstei – waren aber selten im täglichen Gebrauch. Sie waren Prunkstücke und standen auf dem Prahlhans, dem Präsentierschrank oder -regal und dienten nur zum Transport ins Haus der (Sechs-)Wöchnerin. Auf dem Lande war es schon vor Jahrhunderten Brauch, dass Nachbarinnen der jungen Mutter nach der Hausgeburt stärkende Kost brachten, Warmbier und Taubensüppchen, Putt-Graupen mit Speck und Wurst, auch Haferbrei mit viel Butter. Schon im 16. Jahrhundert ließen sich die Keramiker zauberhafte Verzierungen einfallen. Sie setzten Wiegen auf die Deckel, auch Wickelkinder, ließen eine Mutter mit Kind ruhen, samt Vater und Hund. Zuweilen sieht man einen Vogel als Liebesboten oder gar ein sich kosendes, zärtlich umarmendes Liebespaar. Die wunderschönen Möschenpötte waren also Brautgeschenke, die zum Inventar der jungen Frau gehörten und mit viel Liebe sorgsam behandelt wurden. Auf dass sie keinen Schaden erlitten oder zerdeppert wurden, denn sonst gäbe es sie nicht mehr in den Museen – wie diesen traumhaft schönen aus dem Jahr 1745 auf Schloss Gottorf.

Mohltied: Geschichte der Kochbücher

„Das Fleisch wird ganz von der Schale losgeschnitten, in Stücke zerlegt, mit altem Wein und guter Jüs zu Feuer gesetzt und bis zum Garwerden langsam gekocht. Es wird ziemlich viel Fleisch zur Jüs genomen, am liebsten altes; ferner etwas Schinken und beides braun gebraten. Pfeffer, Nelken, Ingwer, spanischen Pfeffer, Gartenkräuter, Basilicum, Dragon, Thymian, Majoran, Sellerie, gelbe Wurzeln, Zwiebeln, Petersilienwurzeln und Salz; es gibt eine kräftige Coulis. Ist die Brühe durchgeschlagen, wird das Fett davon genommen und das Fleisch in die Suppe bzw. Sauce gelegt.“
Ein gut verständliches, nachkochbares Rezept aus dem Jahr 1872. Es gibt nur ein kleines Problem dabei.
Die Holsteinerin Johanna Kuß, aus deren kaiserzeitlichem Kochbuch hier zitiert wird, gebraucht ein Tier, ein Fleisch, das wir nicht (mehr) halten oder kaufen. In der 8. Auflage ist es genauer nachzulesen:
Wie man eine Schildkröte schlachtet und bereitet.
Man braucht mittelgroße Schildkröten, so liest man, für die exquisite Köstlichkeit, die man aus kleinen Tässchen zu trinken pflegt. Klar oder gebunden. Auch das Ragout ist schmackhaft und sehr beliebt. Dabei braucht man dann viel Geschick, so wird geschrieben, um die seltenen Tiere im eigenen Garten zu halten und dann vom Leben zum Tode zu befördern. Man braucht auch eine flinke Hand, um den Vierfüßler aus seinem schweren Panzer heraus zu manövrieren. Und dann erfährt man im Kochbuch auch, wie man den stacheligen Mastdarm behandeln muss, die delikaten Eier rettet, wie man die Schildkröten-Leber dämpft und das Herz schmort, wie man schließlich die schmackhaften Würstchen für die feine Suppe herstellt. Ein großer Genuss, mit Madeira verfeinert.
Die Schildkröte ist ein besonders exotisches Beispiel aus diesem Buch der Holsteiner Kochbuchautorin – als wäre es das „tägliche Brot“ gewesen für die Holsteiner Hausfrauen. Wollte die Autorin doch ausdrücklich „einen guten Rath ins tägliche Leben geben für den einfach, bürgerlichen Hausstand und Tisch.“ Zwischen Bick- und Fliederbeeren, Brot- und Grützeklößen, Sauerbraten und Sauerkohl, Brassen und Karauschen laufen da tatsächlich Kalkuten und Kapaune durch die Seiten, neben Ochs und Schwein und Gans, Hammel und Wild, und unglaublich viel Grünes, Fruchtiges und Süßes gibt es dazu. Auch Eintöpfiges, unter anderem den Mockturtle, die „falsche“ Schildkröte. Alles ganz nach Art der Holsteiner…
Denn ihnen, „besonders allen unerfahrenen holsteinischen Hausfrauen“ widmet Johanna Kuß, die Tochter des Diakons zu Kellinghusen, 1886 ihre „Holsteinische Küche“. Ihr Motto: „Holsteins Hausfrau fromm und bieder, Holsteins Küche nett und rein, Holsten-Treue, frohe Lieder: Schwesterchen, also soll’s sein.“ Ihr Buch ist nicht das erste „Man nehme“-Buch nach dem Vorbild der Henriette Davidis. Früh muss es viel geschriebene Kochkunst für die Frauen gegeben haben – schrieb Johann Georg Krünitz doch schon in den 1770ern in seiner „Oekonomischen Encyklopädie: „Ehedem war die edle Koch-Kunst eine der geheimen Künste,… heut zu Tage…erscheinen die Koch-Bücher bey Haufen“, so „daß nunmehr jede brave Hausmutter sich mit ein Par Koch-Büchern sehr leicht eine geschickte Köchinn ziehen, und überhaupt ihr ganzes Hauswesen vom Canapé aus besorgen kann…“ Sophie Sörensen sprach es 1861 deutlich aus: „Es läßt sich nicht leugnen, dass die Anzahl der vorhandenen Kochbücher bereits ungeheuer groß ist, und noch von Jahr zu Jahr durch neue Erscheinungen vermehrt wird. Daher möchte für den ersten Augenblick die Herausgabe eines neuen Kochbuches ziemlich überflüssig scheinen.“ Dem zum Trotz beglückte die junge Dänin die Hausfrauenwelt mit allen nur denkbaren Köstlichkeiten ihrer Zeit und ihrer Erfahrungen. Sie waren, sie sind durchaus nicht überflüssig! Auch Johanna Kuß fügte ja den vielen schon vorhandenen noch ein weiteres Kochbuch bei: „Um noch ein Kochbuch in die Welt zu schicken, bedarf es wohl einiger Worte der Rechtfertigung, da unsere umfassende deutsche Literatur auch daran nicht arm ist,“ schrieb sie ein Vierteljahrhundert nach Sophie Sörensen in ihrem Vorwort.

Kochen ist eine Kunst, eine Lust für Leib und Seele. Kochbücher aber sind mehr – sie bieten Genuß für Geist und Gaumen. Denn immer erzählen sie auch eine Geschichte – oder sogar Geschichten aus der Geschichte.
Man muss den Schreibern und Schreiberinnen in ihrer Zeit, ihrem Umfeld und in ihrer Region über die Schulter schauen – in Feld und Flur, bei der Auswahl der Zutaten, bei Maß und Waage, beim Sotten und Braten an Feuer und Herd, auch beim Schmecken und Würzen und Schreiben. Einst maß man mit Loth und Quart und schrieb noch mit spitzem Federkiel, man griff zu Biber und Dachs, briet Fischotter und Fischreiher, servierte junge Pfauen im Federkleid oder ältere doch lieber als Pastete und delektierte sich an Igel und Auerhahn. Neben allem Alltäglichen. Alles ist so nachzulesen in den kulinarischen Werken seit dem 17. Jahrhundert, auch aus dem Norden. Zwischen 1698 und 1727 beispielsweise erschien in mehreren Auflagen das barocke Kochbuch des aus Plön stammenden Hans Schuppe, der als „Hochfürstl. Schlesw. Holstein. Plön. Mundkoch“ tituliert und ein „Traiteur a la mode“ vorlegt, sich also als „modischer Speisewirt“ der „delicaten und neubegierigen Welt“ vorstellt. 374 Rezepte, in späteren Auflagen sogar 538, eingeteilt in den 19 damals üblichen Gruppen, lassen den heutigen Leser staunen über die Üppigkeit und Vielfalt der höfischen Küche und über den starken Einfluss französischer Kochkunst. Es waren opulente Gastereyen in jener Zeit. Viele exotische Tiere wurden importiert, vor allem aber gab es eine Fülle von Fischen und Meeresgetier aus Nord- und Ostsee, aus den Seen und Flüssen. Von Aal bis Zander, auch Rochen und Stör, Frosch und Taschenkrebs und vieles mehr.
Einen Vertreter der dann aufkommenden städtisch-bürgerlichen Küche hatte der Norden in Marcus Looft, dem Itzehoer Stadtkoch. Er veröffentlichte 1758 sein „Nieder-Sächsisches Kochbuch“, für das er „Sieben hundert und zehn Anweisungs-Regeln“ schrieb, „wornach alle und jede, sowol kostbare, als ordinaire Speisen präpariret, auch einige Garten-Früchte getrocknet und eingemachet werden können, nebst 52 Regeln von nöthigsten Confituren“. Das alles hat der Stadtkoch wort- und ideenreich „Für die Liebhaber mit aller Aufrichtigkeit verfertigt“.
Den Rezepten von Hans Schuppe und Marcus Looft fehlen exakte Mengenangaben – aber sie inspirieren und instruieren in allen nur denkbaren praktischen Fragen.

Natürlich hat das Kochbuch als Kulturgut auch seine Geschichte.
Denn so, wie die Ernährung als Grundbedürfnis eines jeden Lebewesens immer schon zur Daseins- und Entwicklungsgeschichte des Menschen gehört hat, so gehört die Speisenzubereitung natürlich auch zu den ältesten Kulturtechniken überhaupt, nicht nur für den täglichen Hunger, sondern vorausschauend. Denn von jeher war die Konservierung von Lebensmitteln überlebenswichtig, um Vorräte für die Winterzeiten und die immer wiederkehrenden Hungerperioden anlegen zu können.
Die bis heute einschneidendste und nachhaltigste Wirkung auf die menschliche Ernährung hatte zweifelsohne die Einführung des Feuers als Hilfsmittel bei der Nahrungszubereitung und damit auch sehr schnell die Erfindung randhoher Gefäße, des Koch-Brat-Schmor-Topfes.
In den ältesten Zeiten ging es um Ernährung, nicht um Kochkunst. Aber da der Mensch ja – wie der große Gastrosoph Brillat-Savarin es formuliert hat – ist, was er ißt, ging es manchem Genussreichen doch schon ziemlich früh um sehr Geschmackvolles und um Variationsmöglichkeiten der Zubereitung.
Die lag und liegt bis heute in den Händen von Kochkünstlern. Sie gaben nicht nur mündlich weiter, was sie wussten. Manche schrieben es auch auf.
Erste Zungen-Zeugen-Berichte sollen schon bei den alten Babyloniern auf mesopotamischen Tontafeln aus der Zeit um 1700 v. Chr. gefunden worden sein.
Aber uns überliefert und durch Abschriften und Nachdrucke nachlesbar ist als ältestes Werk die antike Kochschrift des Marcus Gavius Apicius – „De re coquinaria“ aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert (ca 25 ante C.n.). Ein Vorbild für viele spätere Werke derselben Gattung. Auch in Nachdrucken im 16. Jahrhundert. Dabei weiß man sehr wohl, dass der größte Teil mittelalterlicher Kochrezept-Handschriften im Laufe der Zeit verloren gegangen ist. Es gibt nur wenige erhaltene alte Titel, auch im deutschsprachigen Raum. Sie sind dann alle vom Ursprung her handschriftliche unsystematische Zettelsammlungen, die erst viel später – zu Zeiten des Buchdrucks – nachträglich geordnet und in eine feste Form gebracht wurden. Vervielfältigt wurden solche handschriftlichen Rezeptsammlungen ursprünglich wohl durch berufsmäßige Abschreiber, Kopisten. Bis Gutenberg mit seiner Druckkunst die Welt grundlegend veränderte.
Durch die Abschreiber wurden übrigens auch Fehler und Veränderungen eingebracht. Deshalb gibt es auch nicht nur vom alten Apicius verschiedene Versionen.
Rezeptsammlungen sind seit jeher Gebrauchsliteratur gewesen, anfangs nur für die höfische Küche und in Klöstern gefertigt. Zuweilen waren es dabei auch Rezepturen für Heilkräftiges. Viele Ingredenzien, sogar auch Leckeres wie unsere Lebkuchen, hatten ja so ihr Geheimnis und ihre Wirkung. Auch Anna Wecker, die mit ihrem „Köstlich new Kochbuch“ ein erstes deutsches Kochbuch von Frauenhand präsentiert, gibt viele Ratschläge für gesunde und gesundmachende Ernährung. Grundsätzlich aber wusste man hinter Schloss- und hinter Klostermauern sehr frühzeitig sehr gut zu speisen. Dafür brauchte man Rezepte.
Rezepte und ihre Niederschriften waren meist an eine bestimmte Person gebunden. Es ist bekannt von großen Herrschern des späten Mittelalters, dass sie ihre Hofköche zwangen, die Rezepturen schriftlich festzuhalten, damit man nach dem Tod oder Weggang der Kochkünstler nicht auf deren Spezialitäten verzichten musste. Schließlich gab es Küchenstümper genug – so nannte man die unfähigen Köche, die alles verdarben. Zornige Herrscher ließen manche von ihnen sogar umbringen. Andererseits war es in vorigen Jahrhunderten auch üblich, dass man von Hof zu Hof Produkte bzw. Zutaten samt Spezialisten auslieh, verschenkte oder gar verkaufte. Auch aus alten höfischen Gottorfer Protokollen wissen wir davon. Da ging es ja meist um allerlei Getier aus den Gewässern, den Wäldern oder der Luft und um die abenteuerlichsten Zubereitungen der seltsamsten Genüsse. Hummer und Schnepfen von Helgoland, Austern aus dem nordfriesischen Watt, seltenes Wildes aus den Wäldern und als besonderes Beispiel: Man aß noch im 19. Jahrhundert Maikäfersuppe, sie war sehr beliebt hierzulande und alle Jahre wieder empfohlen zur Stärkung der Manneskraft. Viagra gab es noch nicht…
Heutzutage gibt es ja viele Insekten-Esser – weltweit sind schließlich mehr als 1400 essbare Insektenarten bekannt. Auch auf den Speisekarten mutiger Gastronomen findet man frittierte Heuschrecken, allerlei Grillen und den Mehl- und Buffalowurm. Würzig geröstet oder schokolasiert. Und längst gibt es Insekten-Kochkurse und ein fantastisch fotografiertes Insekten-Kochbuch.
Als erstes gedrucktes deutsches Kochbuch erschien 1485 in Nürnberg die „Küchen-meysterey“ – ein dann über zwei Jahrhunderte hin erfolgreiches Buch in allen deutschsprachigen Landen, das immer wieder in verschiedenen Ausgaben nachgedruckt wurde und sogar in Lübeck im Jahr 1570 in einer niederdeutschen Fassung erschien. Im 16. Jh. gab es in der Hansestadt eine unglaublich reichhaltige Küche, durch die Fernhandelswege kamen alle Köstlichkeiten damaliger Zeiten und Welten bis an die Trave. Dort konnte man schon vor 400 Jahren meisterhaft kochen.
Eines der berühmtesten deutschsprachigen Koch-Bücher wird dann das 1581 gedruckte monumentale Werk des Kurfürstlichen Mainzischen Mundkochs Markus Rumpolt, der in fürstlichem Auftrag sein Wissen über die gesamte Gastronomie jener Zeit niederschrieb. Er widmete sein Werk Anna, Königin von Dänemark. Es ist ein phantastisches Buch, das längst nachgedruckt ist – ein Genuss – zum Schmökern und zum Schmecken! Es enthält neben viel Text 144 kostbare Holzschnitte berühmter Künstler des 16. Jh. und ist zu alledem ein einzigartiges zeitgeschichtliches Werk. Es ist übrigens auch das erste Kochbuch, in dem ein „Erdtepffel-Rezept“ aufgeführt wird. Als die kostbare gastronomische Bibliothek des legendären Alfred Walterspiel 1984 versteigert wurde, erzielte der originale Markus Rumpolt den phänomenalen Preis von 50.000 DM.
Was für die Entwicklung der Kochbuchliteratur insgesamt interessant ist: Zum einen blühte im 17. Jahrhundert der Kochbuch-Markt auf – es gab sogar schon viele Bücher zu Spezialthemen und mit köstlichen Titeln. Beispiel: 1813 erschien ein „Küchenkalender“ mit täglich veränderten Speisen. „Für Schmecksäbel und Leckermäuler – ein Kochbuch der feinsten und ausgesuchtesten Speisen aller Art“ kam 1818 auf den Markt. 1841 das erste „Potates-Kokbok“. 1872 das erste „Vegetarianische Kochbuch“. Und 1882 ein erstes „Junggesellen-Kochbüchlein“. Daneben griff die wirklich wunderbare Hausväter-Literatur, die immer auch Rezeptsammlungen für die Hausmutter enthielt, um sich.
Zum anderen fingen nun, im 17. Jahrhundert immer mehr Frauen an, ihr Küchen-Wissen niederzuschreiben – und zwar für die Frauen am Herd. Das waren also nicht mehr Bücher von Profis für Profis, sondern Rezeptsammlungen ausdrücklich für die Hausfrauen – der wohlhabenden Oberschicht natürlich. Anna Wecker war wohl 1597 mit „Ein köstlich New Kochbuch“ die Vorreiterin.
Die im 18. Jh. einsetzenden gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen aufgrund des naturwissenschaftlich-technologischen Fortschritts beeinflussten dann auch die Kochbuchliteratur.
Das erstarkende Bürgertum wurde zur führenden Schicht und übernahm auf breiter Ebene, nicht mehr nur in fortschrittlichen Städten, um die Wende vom 18. zum 19. Jh. auch die verfeinerten Nahrungsgewohnheiten der höfischen Gesellschaft. Die sogenannte bürgerliche Küche entstand. Auch die Gastrosophie entwickelte sich damals – die Lehre vom Genuss. Lesegenuss vom Feinsten!
Die wesentlich verbesserte Schulbildung und der durch weiter-entwickelte Drucktechnik reduzierte Buchpreis eröffneten schließlich dem Kochbuch neue Leser- und Benutzerkreise. Jetzt wurde es vor allem richtig zum Lehrbuch. Hauptsächlich in der Frauenbildung erfahrene und tätige Personen, wie z. B. Erzieherinnen und Leiterinnen von Kochschulen, Haushaltslehrerinnen und Hausmeisterinnen wurden nun Verfasserinnen der Kochbücher. Bis in unsere Zeit blieben diese sogenannten „Man nehme“-Kochbücher üblich. Sie enthielten immer auch viele gute Ratschläge über den Haushalt insgesamt und sind bis heute eine wahre Fundgrube für eine ganze Reihe von hauswirtschaftlichen Themen und Fragen zur Alltagskultur. Die unteren Sozialschichten wurden – das versteht sich – von alledem nicht berührt. Wo man kaum genug zum Sattwerden hatte, wo man kaum lesen und schreiben konnte, da brauchte man keine Bücher zum Kochen.
Schon vor dem Plöner Mundkoch und dem Itzehoer Stadtkoch hat es „Frauenzimmer“ gegeben, die sich nicht nur traktieren und verwöhnen ließen, sondern auch einige, die zum Kochlöffel u n d Federkiel griffen. Maria Sophia Schellhammer beispielsweise, die Ende des 17. Jahrhunderts „Die wol unterwiesene Köchin“ schrieb. Und die Köchin Susanne Maria Endter mit ihrem 1691 erschienenen „Gemerck-Zettul“. Und in allen deutschen Landen regional Tüchtige. Am bekanntesten wurde die bewährte Henriette Davidis, die überall Ratgeberin in allen Fragen war. Ihr „Man nehme…“-Kochbuch aus dem Jahr 1844 steht für eine ganze Epoche der Kochkultur junger Frauen.
Beispielsweise, wenn sie schreibt: „Obgleich es vorliegendem Kochbuche nicht an Reichhaltigkeit fehlt, so vermisst die feine Küche doch darin einzelne Rezepte von fremdartigen Speisen, desgleichen von selten vorkommender Jagdbeute…“ So rät Sie auch:
„Man nehme 100-130 g indianische Vogelnester, weiche sie über Nacht in kalter Boullion ein, reinige sie am folgenden Tage mittels Spicknadel von all den kleinen Federchen, welche schwarzen Punkten gleichen, und schneide dann die aufgeweichten Nestchen in Streifen. Mit reichlich Madeira, Cayenne-Pfeffer und einem Löffelchen von Liebigs Fleischextrakt, mit selbstgekochter Consommé“ – (für die man übrigens laut Davidis-Rezept ganze Berge von Ochsenfleisch, Kalbfleisch, magerem Schinken, Hühner und Tauben braucht) – mit all‘ diesen Zutaten also, so schreibt sie – „stelle man die gute Batavia-Suppe her“.
Henriette Davidis, die Pfarrerstochter und Erzieherin, startete mit einem vollständigen Erziehungsschriftenprogramm von der Puppenmutter Anna bis hin zur Hausfrau, schrieb ein Buch über den „Beruf der Jungfrau“ und verfasste Gedichte und überarbeitete vor allem immer wieder ihr erstmals 1844 erschienenes „Praktisches Kochbuch“. Bis zu ihrem Tod 1876 erschienen allein 21 Auflagen des „Kochbuchs für die gewöhnliche und feinere Küche“. „Die Davidis“ wurde zum Standardwerk aller jungen Bräute. Nach dem Tod der Henriette Davidis gab es immer wieder erweiterte und veränderte Neuauflagen. Bis heute.
Der Norden hatte sehr bald eigene Kochbuch-SchreiberInnen. Vor allem in Hamburg. Bereits 1716 veröffentlichte Paul Jacob Marperger sein „Vollständiges Küch- und Keller-Dictionarium“, ein voluminöses Prachtwerk! Die Haushalts-Instituts-Leiterin und Hotelbesitzerin Sophie Charlotte Hommer war eine der Erfolgreichsten mit unzähligen Auflagen ihrer 1850 erstmals veröffentlichten „Hamburger Küche – Anweisungen, wie in bürgerlichen Haushalten die Küche gut, schmackhaft, abwechslungsreich, doch auch wohlfeil zu führen ist“. Viele Hansestädterinnen schrieben norddeutsche Bücher. Daneben gab es weiterhin die ländlich-bürgerliche Küche, unter anderen Dorothea Bandholdt um 1840 mit ihren norddeutschen Rezepten. Dann Charlotte Amalie Lönne, die 1843 ihr „Practisches Kochbuch“ in Schleswig veröffentlichte. Und Dorothea Otzen um 1850. Dann eben Johanna Kuß 1886 mit ihrer „Holsteinischen Küche“, ein Buch, das bereits 1901 die 23. Auflage erlebte und auch weiterhin gedruckt wurde. Es gibt sogar eine zeitbedingt schlichte Ausgabe aus dem Kriegsjahr 1940! Zu den erfolgreichen „Man nehme“-Autorinnen gehörte auch Johanna Ramm, die 1890 ihre „Holsteinische Küche für die bürgerliche und feine Küche“ schrieb, Lipsius & Tischer in Kiel hatten damit großen Erfolg. Luise Keck auch mit ihrem „Kochbuch für Norddeutschland“, 1894 in Schleswig gedruckt. 1904 hat „Frau Constantin“ aus ihrer jahrelangen Koch-Kolumne in der dänischen Frauenzeitung, der „Nationaltidende“ eine „kulinarische Hauspostille“ (wie man so sagte) gemacht – „Frau Constantins Koch- und Haushaltungsbuch“ – mit phänomenalem Erfolg bis zu den Kriegsjahren. 1908 begeistert Nellie von Heimburg mit den „Perlen der Kochkunst“. Sie hat Rezepte aus vielen Hofküchen zusammengetragen, von Austern und Aal bis zu Mirlitons , Souvaroffs und Varonikis gibt es in 10 Kapiteln viel Spannendes. Ihre Durchlaucht Fürstin Herbert v. Bismarck aus Friedrichsruh verrät ihre Krammetsvogelpastete und eine herrliche Mullgatawny-Suppe – ja, die aus dem alljährlichen „Dinner for one“. Prinzessin Heinrich von Preussen aus dem Kieler Residenzschloss hat ihre Rote Grütze beigesteuert. Aus der herzöglichen Glücksburger Hofküche kommen eine Buttermilch-Brotsuppe und ein Kirschmichel in Versform. So manches mehr lockt zum Nachkochen.
Um die Jahrhundertwende brachte schließlich Ella Orth, Vorsteherin der erfolgreichen Landwirtschaftlichen Haushaltungsschule in Hademarschen, ihr umfangreiches und äußerst lehrreiches „Praktisches Kochbuch für die schleswig-holsteinische Küche“ heraus. Es eroberte sehr schnell alle Haushalte und Hausfrauen-Herzen im Norden und wurde immer wieder überarbeitet, heute ist ein Nachdruck zu kaufen.
Immer gab es in diesen Kochbüchern neben einer Fülle grundlegender und wirklich köstlicher Rezepte umfangreiche, strikte Anleitungen zur Führung des Hausstandes. Ordnung, Reinlichkeit, Sparsamkeit, Pünktlichkeit – diese Prinzipien wurden jeder jungen Braut, jeder Hausfrau ins Stammbuch geschrieben.
Ein besonderes Kapitel der Eß“kultur“ schrieb dann der Erste Weltkrieg. Im Rahmen der Rationalisierungsmaßnahmen im Deutschen Reich ab 1915 sahen sich Frauenvereine und karitative Organisationen, auch einzelne erfahrene AutorInnen aufgerufen, Kriegkochbücher zu schreiben und Schriften über die gesunde Küche in einer Zeit des Mangels. Wuchernder Einfallsreichtum sorgte für eine Fülle von Koch- und Backanweisungen aus dem Nichts…
In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich im ganzen deutschen Sprachraum ein Aufschwung an „Nationalkochbüchern“, die einen Mythos regionaler Identitäten mittels landestypischer Spezialitäten schufen. Die Idee gewann an Popularität und legte einen Grundstock für noch heute aktuelle Identifizierungsmodelle von Küchenspezialitäten. Nach dem Zweiten großen Krieg, der auch wieder neue-alte Kochschriften für den Spar- und Nothaushalt mit sich brachte, erschien immer neue regionale Rezeptbücher – von Adolf Baum und Catharina Lüden, Maria Elisabeth Straub und Waltrud Bruhn, Metta Frank und Ute Stahmann, auch von vielen Dänen, vor allem Inge Adriansen. Und dann machten sich die Tausenden von Landfrauen im Lande auf und schrieben ihre vielen großartigen regionalen Bücher. Viel Dokumentarisches lieferte Jutta Kürtz – und plötzlich stapelten sich die wunderbaren Werke der großen Profi-Köche in allen Küchen. Immer mehr Feinschmecker-Zeitschriften erschienen – heute nun hat das digitale Zeitalter alle leidenschaftlichen Köche und Köchinnen auf die PC-Schirme gebracht.
Was die Geschichte der Kochbücher angeht, so sollen zwei ganz besondere Kapitel wenigstens kurz erwähnt werden:
Zum einen das, was jeder eifrige Kochbuch-Sammler ganz besonders liebt . Es sind die kostbaren handschriftlichen Rezeptsammlungen. Sie sind etwas einzigartig Schönes, denn Handschriften sind ja ohnehin wahre Fundgruben. Schon Theodor Fontane ließ die junge Lene in „Irrungen und Wirrungen“ ein „Büchelchen“ führen mit dem Titel „Was zu wissen not tut“ – worin die täglichen Ausgaben verzeichnet wurden und anstehende Fragen, Rezepte und Rezepturen und so mancher Sinnspruch, manches Lied und Gedicht für die Ewigkeit festgehalten wurde. Mitte des 19. Jahrhunderts kam es auf, dass „gelehrte Frauen“ (die also schreiben und lesen konnten) „Buch führten“, wie man sagte, also ein eigenes Heftchen oder Notiz-Büchlein füllten mit Wissenswertem, das ihnen am Herzen lag. Sie füllten Lieder- und Andachtsbücher, schön gestaltete Hausbücher und ganz einfache, schmucklose Schreibe-Bücher. Ganz viele alte handgeschriebene Kochbücher existieren heute noch in Sammlungen. Es sind feste handliche Büchlein, für die die Druckereien im 19. Jahrhundert liebevoll Deckel gestalteten, oft mit Daumenregistern und ansehnlichen Kupfer- und Stahlstich-Illustrationen. Geschrieben wurde in akkurater Kurrentschrift, der Verkehrsschrift im 18. und 19. Jahrhundert. Nach dem Ende der Kaiserzeit tauchte dann auch in den handgeschriebenen Kochbüchern die von Sütterlin entwickelte neue Schrift auf. Immer sehr ordentlich geschrieben. Seltsamerweise stehen die Titel der Rezepte und Lieder, auch Namen, fast immer in geschwungener Lateinschrift. Es ist eine Freude – für manche(n) auch eine Herausforderung – die Handschriften zu entziffern.
Und auch dieses kleine „Kapitel“ gehört zur Kochbuch-Geschichte des Nordens: Wer weiß schon, dass es eine American/Schleswig-Holstein Heritage Society gibt, in Davenport in Iowa, und dass sie 1991 ein englisches Kochbuch herausgegeben hat – „German Heritage Recipes“ – ein richtiges Heimweh-Buch, das auf liebevolle Weise bewahren will, was an traditionellen Rezepten aus Norddeutschland in den deutschstämmigen Familien erinnert wird – vom Gluhwein über Futtjen and Hans, über Mehlbüdle und Red Gritt = Rothe Grütze und Black Sour Soup = Schwarzsauer und „Schnüss Soup“ und „Homemade Sauerkraut“. Da gibt es auch einen „Oamp Kotha“, übersetzt als Baked Oven Tomcat. Das ist der gute alte Ofenkater = Oamskater… Neben Rezepten von ganz alten Weihnachtsplätzchen findet man das Alt-Pellwormer Rummelpott-Lied, ins Englische übersetzt – wie heißt da wohl der Rummelpott? „Noisy Pott“!

Kochen heißt Geschichten erzählen – das weiß man seit altersher. Kochbücher sind dafür wahre Fundgruben an Geschichte(n)!

Mohltied: 2017- Porzellan- Bohrer- Topfspinner am Werk

Ja – es ist ein Bohrer, der da an der Küchenwand im Museum hängt.
Nein – es ist kein Porzellanbohrer, um Teller und Tassen kunsthandwerklich zu Etageren und Dekoartikeln zu verarbeiten, wie es uns heute als Bastelidee vorgeschlagen wird.
Dieser Topfbohrer im Museum auf Fehmarn ist ein höchst seltenes Stück – das Handwerkszeug eines Kesselflickers oder Topfbespinners. Wohl aus den 1870er Jahren. Glücklicherweise finden wir im Museum auch ein Beweisstück – eine schöne große Keramikschüssel mit chinesischer Blaumalerei. Gebohrt und geflickt. Man muss genau hinschauen, dann entdeckt man eine kleine Sensation: die Schale ist genäht! Mit feinem Tau genäht und so für den Gebrauch zusammengehalten. Nicht geklammert, wie es Kesselflicker üblicherweise machten. Hier war also ein Topfbespinner am Werk.
Die „Flickkultur“ gehörte vor allem auf dem Lande zum Alltag. Das Flicken, Reparieren und Weiterverwenden abgenutzter und beschädigter Teile des Hausrats verlängerte die Lebensdauer aller nur denkbaren Gegenstände. Ein ganz natürliches Recycling, das die Wertschätzung der Gegenstände in frühen Zeiten dokumentiert. Lange, bevor die Wegwerfwirtschaft alles stark veränderte.
„Flicken ist eine Kunst, die den Wohlstand erhält“. In einer alten Küchenkladde finde ich den Spruch. Und im „Buch der Hausfrau“. Im ausgehenden 19. Jahrhundert schenkte man der jungen Braut und noch ungeübten Hausfrau dicke Bücher – „Ratgeber und Helfer für das gesamte häusliche Leben der deutschen Familie.“ Da stand dann alles drin, was sie zu wissen hatte – von Haushälterei und Familienleben, von Reinlichkeit und Ordnung und Sparsamkeit, von Pflichten und Festen und geistiger Erbauung. Auch von den Notwendigkeiten des Alltags in allen Lebenslagen. Da wird gekocht, gebacken, gebraut. Nähen und Handarbeiten müssen gelernt werden, das Reinigen und das Reparieren. Und das Flicken im Kapitel „Wert des Wertlosen“. Denn „viel Kopfzerbrechen machen der sparsamen Hausfrau die Risse und Löcher, die nicht nur der Zahn der Zeit, sondern auch viele ungeschickte Hände in aller Wäsche verursachen.“ Nicht nur da. „Den größten Kummer kann das sich immer mehr kaputte und sich verringernde Porzellangeschirr der Hausfrau bereiten“. Da griff sie dann zu Fisch- oder Tischlerleim, Salzsäure und Diamantkitt und klebte das zerbrochene Porzellan. So sie konnte, nahm die geschickte Frau des Hauses auch den Lötkolben in die Hand und dichtete nicht nur die Konservenbüxen zur Vorratshaltung, sondern Pütt und Pann, Kessel und Schüsseln, die Risse oder Löcher hatten.
Das machte vor allem aber der Kesselflicker, der Geschirr, Pfannen und Töpfe aus Zinn, Kupfer und Eisen lötete oder mit Blechflicken reparierte. Er zog, oft mit Familie und ohne festes Zuhause, mit seiner mobilen Werkstatt übers Land und verdingte sich dort, wo er gebraucht wurde. Ein-, zweimal im Jahr. Es war einer der nicht sesshaften und schlecht bezahlten Wanderhandwerker früherer Zeiten. Wie die Flickschneider und Flickschuster, die Scherenschleifer und Kleinsthandwerker aller Art, auch die Zichorienbrenner und Besenbinder machten so ihre Runde. Die herumziehenden Schäfer sollen sehr geschickt in Holzarbeiten gewesen sein. So kamen auch die Topfbespinner auf die Höfe und umflochten Keramikgefäße und Backformen, tönerne Kochtöpfe und große Schüsseln und Schalen mit Drahtnetzen – oder nähten sie zusammen.
Viele Sprüche, Schimpfwörter und Redewendungen zeugen davon, dass diese handwerkenden „Zugvögel“ nicht wirklich beliebt waren. Ihre rauhen Sitten führten wohl zu manchem Streit – und dann „schimpften, schlugen, stritten, soffen sie wie die Kesselflicker“!

Peter-Wiepert-Museum
Breite Straße 49
Burg
23769 Fehmarn

Mohltied 2017: Barttasse- den Bart zu schützen

Er wird gestriegelt und gedreht, gebürstet und coupiert, geölt, gewachst und parfümiert – und neuerdings an Festtagen sogar mit Goldstaub und –fäden und bunten Kugeln geschmückt: der Bart. Des Mannes Zierde, einst auch des Helden Ehr. Seit ältesten Zeiten ein aussagekräftiges Macht- und Kultsignal. Wer einen Bart trägt, zeigt was her.
Zuweilen kann das Probleme bereiten, denn beim Essen und Trinken kann die Haarpracht eine rechte Hürde sein. So kam es zu der Barttasse.

(A c h t u n g: je nach Auswahl der Tasse! )
Zu schonen Deines Bartes Zier
Weih Freundschaft diese Tasse hier.
O d e r:
Deinen schönen Bart zu schützen
Soll Dir diese Tasse nützen

So liest man im „Stormarnschen Dorfmuseum“ auf der schmucken Barttasse aus Kaisers Zeiten. Denn damals trugen die Herren des Hauses mit Stolz einen ansehnlichen Kaiser-Wilhelm-Bart auf der Oberlippe. Dessen langgewachsene Enden mussten sorgsam aufwärts gedreht und gezwirbelt und mit Bartwichse eingerieben werden, damit sie steif und aufrecht stehen blieben. Das war Kult.
Da brauchte man dann also eine Barttasse. Denn gerade der prächtige Zwirbelbart war in Gefahr, wenn der Mann zum Heißgetränk griff. Nicht nur, dass Kaffee, Tee oder Grog im Schnauzer hängen blieben – die Hitze brachte Wachs oder Wichse zum Schmelzen und Tropfen, verdarb den Genuss und dem guten Stück seinen Stand. Wehe, wenn die stattliche Manneszier herunterhing… Aus bestem Porzellan und reich verziert waren die Barttassen, wahre Schmuckstücke wie die Gesichtszier. Das Besondere an ihnen war ihr schützender Steg.
Der britische Porzellanhersteller Harvey Adams soll 1830 die erste „moustache cup“ produziert haben. Er baute am vorderen Rand der Tasse einen horizontalen Steg mit einer Trinköffnung ein. Auf dem „moustache guard“ ruhte der Schnurrbart, während der Trunk in die Kehle rann. Bis in die 1920er Jahre wurden von allen bekannten Porzellanherstellern weltweit Barttassen produziert. Es gab sie auch aus Silber und sogar Suppen-Bartlöffel mit Steg. Dann aber waren die Zeiten der Kaiser und der Zwirbelbärte vorbei – die Rasierklingen eroberten für eine Weile Kinn und Kopf der männlichen Welt.
Heute gibt es Bartvariationen aller Art – Rausche- oder Walrossbärte, den schmalen Menjou des verführerischen Dandys, Charly Chaplins Zweifingerbart, den königlichen Henriquatre, Schnauzer in jedem Format. Und es gibt auch wieder Barttassen. Modern und witzig nach Art der musealen Modelle. Denn Bartträger haben’s schwer beim Einbringen des Essens – schaurig, wenn sich Capuccinoschaum oder Sahne oder Krümel im Haargestrüpp eines Schnauzers verfangen. Essensüberbleibsel im „Bröselbesen“ können richtig eklig sein. Sie sind ein statistisch belegter Grund für so manchen – Mann und Frau – Bärte nicht zu mögen. Das weiss Christa Wietig, die jüngst eine Dissertation „Zur Kulturgeschichte des Bartes von der Antike bis zur Gegenwart“ vorgelegt hat. Wieviel Bart braucht der Mann – das ist eine ihrer bis an die Wurzel gehenden Fragen. Ihre Antwort: „Der Bart als Symbol für genuine Virilität, als Zeichen der Dominanz, politischer Gesinnung und Individualität stellt weiterhin ein sich ständig im modischen Wandel befindliches Bekenntnis am Schnittpunkt zwischen seelischem Körperbewusstsein und gefordertem konventionellen Öffentlichkeitsbildnis dar.“

Stormarnsches Dorfmuseum
Museumsleiter: Klaus Bustorf
Sprenger Weg 1
22955 Hoisdorf

Kolumne lacarte 2024: Insekten…wat de Buur ni kennt…

Die Überraschung ist gelungen. Der Schokoladen-Produzent mit den quadratischen Riegeln hat einen wilden Aufschrei in den Medien erzeugt. Eine neue Marke „Ganze Grille“ werde er auf den Markt bringen, echte Super-Protein-Food „mit crunchy Heimchen-Beinchen“! Auf der knallgrünen Packung krabbelt das sechsbeinige Insekt herum!
Insekten-Schokolade also. Ich gestehe, dass mich die Vorstellung ekelt, Heimchen-Beinchen zu knabbern… Ich mache also einen Test. Mit der farbenfrohen Anzeige konfrontiere ich Kinder und Freunde. Würden sie das kaufen? „Ne, dat will ik nich!“ sagt Lena, meine bodenständige Landfrau, „Ne, so‘n Mist eet ik ni! Wat de Buur ni kennt, dat fritt he ni!“. Und die Schokoladen-Freundin Ute schüttelt sich: „Igittigittigitt!“ Paul, immer gut informiert, pubertärer Besser-Wisser, hält mir dagegen einen ausgiebigen Vortrag über die Probleme der Welternährung und über den hohen Proteingehalt von Insekten. Sie seien die Proteinquelle der Zukunft.
Ich gestehe: ich weiss längst, dass die Marketing-Aktion der Schoko-Ritter ein Fake war, ein Test des Kaufverhaltens, spannend im Ergebnis, denn so mancher ist darauf reingefallen. Die Verkäuferin einer Schoko-Abteilung berichtet mir sogar, dass sie mehrere Nachfragen von Kundinnen gehabt habe…
Nein, diese Grillen-Schoko-Riegel wird es also nicht geben. Aber ganz sicher immer mehr Insekten als Lebensmittel. Es gibt sie ja schon. Insekten in pulverisierter Form in allerlei Teig- und Backwaren, in Suppenkonzentraten und Fleischzubereitungen, auch als Snacks und Nahrungsergänzungsmittel. Und viel in Schokoladenerzeugnissen. Der gelbe Mehlwurm, die europäische Wanderheuschrecke, die Hausgrille und viele Läuse stecken längst schon in unserer Nahrung. Aktuell gibt es eine neue EU-Verordnung, die ab sofort zwei neue Speiseinsekten erlaubt. Larven des Getreideschimmelkäfers und die Hausgrille, die wir auch Heimchen nennen. So sind also Insekten bald in aller Munde. Es schüttelt mich, wenn ich daran denke. Aber natürlich gibt es einen Grund für die Zulassung. Insekten sind reich an Omega 3- und 6-Fettsäuren, Spurenelementen und Mineralstoffen wie Magnesium und Eisen. Insekten haben viele Proteine und gesunde Fette. Es gibt Heuschrecken, die mehr Protein liefern als Nüsse, Hülsenfrüchte und Getreide. Die Kriech- und Krabbeltiere sorgen auch für Nachhaltigkeit, denn ihr Ausstoß an Treibhausgasen ist gering. Und klein wie sie sind, brauchen sie in der kontrollierten Zucht weniger Raum als die Eiweißlieferanten Rind oder Huhn!
Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) meldet weltweit mehr als 2.100 Insektenarten als essbar. In Asien, Afrika und Lateinamerika, ist der Genuss von Insekten tägliche Kost.
Bei uns verbirgt sich viel „Lausiges“ in Zutatenlisten, vor allem bei Kakaolinsen, Schoko-Bons, Kaugummis und so manchen Gummibärchen. Sie enthalten Karmin (E 210) zum Färben und Schellack (E 904) als glänzenden, nicht schmelzenden Überzug. Was bedeutet, dass wir es mit Läusen und ihren Ausscheidungen zu tun haben. Rotes Karmin, auch als Cochenille schon in vorchristlichen Zeiten in Peru und Mexiko zur Färbung von Textilien verwendet, wird mithilfe verschiedenster Schildläuse gewonnen. Nicht nur für Lebensmittel, sondern auch in der Kosmetik und in der Medizintechnik. Und Schellack, das einen stabilen glänzenden Überzug garantiert, wird schon seit 1893 von einer Firma in Bremen hergestellt aus Ausscheidungen der Lackschildlaus und gilt als bewährter Zusatz von Backwaren, Kaugummis und taucht in Nahrungsergänzungsmitteln auf. Für mich eine lausige Vorstellung…
Wer mit der Zeit gehen will, macht mit. Gerade erobern die krabbeligen Newcomer die Rezeptteile der Zeitschriften und die Regale der Supermärkte.
Eine große Kaufhaus-Kette bietet für die private Dschungel-Party handliche ganze Snack-Insekten an und Buffalo- und Mehlwürmer, Grillen und Insekten-Proteinriegel. Eine fortschrittliche Insektenfarm wirbt mit Kursen zum Kochen mit Mehlwürmern… Da sind gegrillte Grillen und ein Salat mit Mehlwürmern und anderen Insekten die Herausforderung!
Nein, das wünsche ich mir nicht zum Geburtstag…

Juttas Entdeckungen- Salatzange aus Bein

Bein und Knochen sind seit Urzeiten ein begehrtes Rohmaterial. Nicht nur Schmuck und Schmückendes fertigte man daraus, sondern auch viel Brauchbares. So verwundert es nicht, dass in der Vitrine im Kieler Schifffahrtsmuseum neben Schönem und Beschaulichem auch diese Salatzange aus Bein liegt.

Um 1900 ist sie aus privatem Besitz in die Sammlung gekommen, ein Erbstück ohne Erklärungen. Man könnte glatt daran vorbeigehen. Aber genaues Hinschauen lohnt sich, denn da war wirklich ein Meister am Werk. Was ist das für eine raffinierte Konstruktion mit den ineinander gefügten beiden Teilen! Die Zange mit ihren langen Zinken und der Löffel mit dem länglichen Schöpfteil, der Laffel, werden zusammengehebelt und greifen zu, kleine Ringe sorgen für sicheren Halt. Schmückende Nägelchen festigen die Konstruktion und vor allem bringen ornamentale Schnitzereien das schön gemaserte, glatt geschliffene Bein zum Erblühen. Kein Zweifel, dies war ein Schmuckstück, ein sehr persönliches Geschenk. Vielleicht hat ein junger Mann seiner Braut damit imponiert? Vielleicht war es eine Arbeit, als es nichts gab als Bein und Zeit zum Schnitzen … Irgendwo auf See an Bord in nordischen Gewässern, in quälenden Wartezeiten, im Arrest oder wieder an Land – wir wissen, dass Seefahrer handwerklich sehr geschickt waren. Die schöne Scrimshaw-Kunst ist dafür ein Zeugnis! Was könnte diese Salatzange berichten? Sie scheint so kostbar gewesen zu sein, dass sie wohl nie benutzt wurde. Obgleich sie ja praktisch war. Das Material konnte die Säure einer Soße gut aushalten – auch heute achten wir ja darauf, dass Salatbestecke nicht anlaufen, dass Eier- und Kaviarlöffel und anderes aus Horn oder Bein sind – wenn nicht aus modernem Material. In urältesten Zeiten, als es das alles noch nicht gab, waren Knochen und Horn ein wichtiger Rohstoff. Mit den Zähnen des Mammuts fing es an und mit den Knochen der Urtiere. Was fertigte man nicht alles daraus: Werkzeuge und Waffen, Gefäße und Becher, Messer und Löffel, sogar Knochennadeln und -dosen. Schon in frühgeschichtlicher Zeit entstanden auch Schmuck und hinreißende Kult- und Kunstgegenstände aus Horn, Schildpatt und Elfenbein, also aus Zahnmaterial der Elefanten und Mammuts, der Nilpferde, Wildschweine und vieler Walarten und Walrösser. Schon in der Antike und im Mittelalter hatten die Bein- und Knochenschnitzer eine hohe wirtschaftliche Bedeutung, denn sie schufen nicht nur Brauchbares für den Eigenbedarf, sondern auch Handelswaren für die damaligen Weltmärkte. Wir kennen die Luxusgegenstände und die kostbaren Schnitzereien und Kunstwerke, die für Kirchen und für Fürstenhäuser aus Elfenbein entstanden. Auch unter Kaisern und Königen waren seit dem 17. Jahrhundert viele Knochen-Kunstschnitzer – das war eine kostbare Liebhaberei! In der Neuzeit hatte man allerlei im Alltag aus Bein im Gebrauch, zum Beispiel Klaviertasten und Spazierstöcke, Federhalter und Brieföffner, Petschaften, Falzbeine und Dornstecher, Schachspiele und Würfel, Knöpfe und Kämme und vieles mehr – und ganz viel Schmuck. Sogar die Schlittschuhe hatten bis Anfang des 19. Jahrhunderts beinerne Kufen. Seit 1989 ist zum Schutz der vom Aussterben bedrohten Elefanten der Handel mit Elefanten-Elfenbein weltweit verboten. Das ist gut so, denn es geht auch ohne und anders. Die alten ererbten Stücke zu Hause und in den Museen aber – wie diese Salatzange, die ganz sicher nicht aus Elefanten-Elfenbein gearbeitet wurde – dürfen wir weiterhin mit großer Freude ansehen und auch nutzen.